Sieh dir das unten verlinkte Video und die Bilder an bzw. lies dir die beiden Texte durch. Setze dich anschließend mit folgenden Fragen auseinander:
- Recherchiere auf youtube ein Video einer Schule, die schon ähnlich funktioniert, wie der neue Bildungscampus und poste es. Gib auch den Link zur Schulhomepage an.
- Kommentiere das Video und reflektiere die Besonderheiten bzw. Ungewöhnlichkeiten.
- Beurteile das Projekt "Bildungscampus Sonnwendviertel". Welche Vor- bzw. Nachteile kannst du erkennen?
- Schule neu denken: Nach mindesten 12 Jahren Schule und Kindergarten wirst du dieses Schuljahr deine Schullaufbahn beenden. Reflektiere die Chancen, die dir die Schule ermöglicht bzw. nicht ermöglicht hat und beziehe in deine Überlegungen auch räumliche Überlegungen mit ein. Wenn du die Möglichkeit hättest, Schule neu bzw. anders zu gestalten, was würdest du vorschlagen?
Bildungscampus
Hauptbahnhof: Schule macht Schule
24. August 2014, 09:00
Erster Spaziergang durch einen
räumlichen Vorboten, der den Wiener Schulbau auf den Kopf stellen wird
Am 1. September ist Schulbeginn. Und damit startet für viele nicht
nur der Ernst des Lebens, sondern auch eine neue Ära im österreichischen
Schulbau. Erstmals seit Jahrzehnten werden die Jüngsten unserer Gesellschaft
nicht mehr in neun mal sieben Meter große Standardklassen gequetscht, sondern
können sich zwischen individuell gestalteten Ausbildungsräumen frei bewegen,
können über sogenannte Marktplätze schlendern, können je nach Belieben mal
drinnen, mal draußen lernen.
Pädagogische Revolution
Ort dieser pädagogischen
Revolution, an die vor wenigen Jahren noch niemand so richtig glaubte, ist der
Bildungscampus im Sonnwendviertel im Hinterland des neuen Wiener Hauptbahnhofs.
Die letzten Handgriffe werden gerade gemacht. Die einen tragen höhenverstellbare
Drehstühle durchs Haus und polieren die Edelstahlküchen auf Hochglanz, die
anderen machen die letzten Verwaltungsrochaden und drucken die Stundenpläne
aus. Bald kommen die Horden.
"In den letzten 15
Jahren haben wir so gut wie jede einzelne österreichische Schulausschreibung
gelesen und studiert", erinnert sich Georg Poduschka, PPAG Architekten.
"Doch diese eine Ausschreibung hat uns mehr als überrascht. Da waren keine
räumlichen Vorgaben aufgelistet, sondern pädagogisch-funktionale Wünsche. Viele
unserer Kolleginnen und Kollegen haben gar nicht glauben wollen, was die
Magistratsabteilungen und der Stadtschulrat da hineingeschrieben haben."
Aus der Norm
Erstmals, seit er denken
kann, habe sich Poduschka ernsthaft und tiefgreifend mit dem Thema Schulbau
auseinandersetzen dürfen. Mit Erfolg. Von den insgesamt 102 Teilnehmern kamen
neun Büros in die zweite Bewerbungsstufe. Gewonnen hat schließlich der eckig
zusammengewürfelte Cluster von PPAG, der sich - im Grundriss betrachtet - wie
ein Commodore-Pac-Man durch das Schulgelände frisst.
Die ungewöhnliche Form hat
inhaltliche Gründe. Denn anders als in allen bisher bekannten Schulen werden
hier keine Normklassen mit Normtafeln und Normwaschbecken an Normgänge mit
Normbrandlast und Normfluchtwegen gefädelt. Stattdessen gruppieren sich jeweils
vier Unterrichtsklassen um einen zentralen Marktplatz, der den Schülerinnen und
Schülern zur Verfügung steht - und zwar nicht nur in den Pausen, sondern auch
in den Schulstunden.
Freiluftklassen mit Pergola
Über vier Meter breite
Glasfalttüren lassen sich die einzelnen Klassenräume zu einem riesigen
Dorfplatz zusammenfassen. Wenn gewünscht, können auf diese Weise bis zu 100
Kids gleichzeitig - und zwar fächer- und auch schulstufenübergreifend -
unterrichtet werden. An jede Klasse und jeden Cluster anschließend gibt es
zudem Freiluftklassen, die mal witterungsgeschützt und mal mit einer
schattenspendenden Pergola versehen sind. Projektunterricht bekommt damit eine
vollkommen neue Dimension.
Oder, wie Georg Poduschka
sagt: "Das ist ein Schulhaus für alle Kinder zwischen null und 14 Jahren,
von Kindergarten über Volksschule bis hin zur Mittelschule. Ich finde das
super. Als Kindergartenkind kann ich auf dem gesamten Gelände frei herumlaufen
und meinen pubertierenden Bruder in seiner Schulklasse besuchen, wenn ich das
will." Diese Offenheit und Transparenz ist Neuland in Österreich.
Offenheit, die überspringen soll
"Das ist ein
Schulgebäude, das es in dieser Form bislang noch nie zuvor gegeben hat",
erklärt Claudia Koch, Direktorin der Volksschule. "Die offene Bauweise ist
ein baulicher Anspruch an das Lernen, dem man erst einmal gerecht werden muss.
Doch unsere Pädagoginnen und Pädagogen sind aufgeschlossen und
entwicklungsfreudig. Ich persönlich freue mich schon auf den Schulbetrieb."
Auch Andreas Gruber,
Direktor der Neuen Mittelschule (NMS), meint: "Das ist eine ziemliche
Umstellung, eine ziemliche Herausforderung, wie ich meine. Aber in erster Linie
sehe ich den Bildungscampus als Chance, denn das ist genau das, wonach wir Pädagoginnen
und Pädagogen uns in all den Jahren gesehnt haben. Ich denke, es ist eine Frage
der Zeit, vielleicht sogar der Generationen, aber früher oder später wird diese
Offenheit auch auf die Kinder überspringen."
Lese- und Schlafnische
Als ob das alles nicht
schon neu genug wäre, verfügt jede Klasse über eine rund 15 Quadratmeter große
Raumnische. Hierher können sich die Kinder zum Lesen oder Schlafen
zurückziehen. Es sei jener abgeschiedene Privatbereich, so Architekt Poduschka,
der als Ausgleich zum stundenlangen Unterricht so unglaublich wichtig sei,
üblicherweise jedoch hinter einer selbst zusammengebastelten Schrankwand
versteckt werde. Hier muss sich die Muße nicht maskieren.
Die Neuerungen auf dem
1100 Schüler fassenden Bildungscampus, der leider nicht so bunt ist wie sein
räumlich innovatives Konzept, sondern sich hinter einem Farbkonzept aus
Schwarz, Weiß und militärischer Schlammtarnfarbe zurücknimmt, gehen bis ins
kleinste Detail. So entwickelten die PPAG Architekten sogar einen neuen, sechseckigen
Schultisch, an dem bis zu drei Schüler sitzen können. Drehstühle mit
höhenverstellbarer Fußstütze machen's möglich. Bei Bedarf ist sogar noch Platz
für eine Lehrperson.
Billiger als veranschlagt
Und anstatt grüner
Schiefertafeln gibt es sogenannte Whiteboards. Diese können den händisch
geschriebenen Text nicht nur speichern, sondern auch in ein digitales
Word-Dokument umwandeln. Auf diese Weise lässt sich mit anderen Klassen
virtuell kommunizieren. Möge die bessere Lehrmethode gewinnen. Das enervierende
Quietschen und Kreischen der Kreide ist damit Geschichte.
Von den veranschlagten 47
Millionen Euro Baukosten (Gesamtinvestitionskosten 79 Millionen Euro) wurden
nur 37 Millionen verbaut. Das ist eine Reduktion um mehr als 20 Prozent. Für
diese rechnerische Leistung gebührt den PPAG Architekten ein glattes "Sehr
gut". Schade nur, dass von den einst geplanten Vogelbrutkästen,
Brieftaubenstationen, Bienenhäusern und frei herumlaufenden Igeln und
Katzentieren nichts geworden ist. So weit traut sich die österreichische
Bürokratie dann wohl doch nicht aus dem Fenster zu lehnen.
"Wendepunkt im Wiener Schulbau"
"Kompromisse muss man
immer eingehen, und es kann sein, dass sich der Bildungscampus am Hauptbahnhof
in den letzten Jahren von der ersten Konzeptskizze bis zur Fertigstellung da
und dort auch architektonisch verändert hat", meint Karin
Schwarz-Viechtbauer, Direktorin des Österreichischen Instituts für Schul- und
Sportstättenbau (ÖISS). "Räumlich jedoch ist der Campus exakt so geworden,
wie PPAG ihn entworfen hat. Damit markiert die Pilotschule einen Wendepunkt im
Wiener Schulbau und definiert die Stoßrichtung für die kommenden Jahre."
Die folgenden
Bildungscampus-Bauten sind bereits in Planung und in Bau. Unter dem
Arbeitstitel "Campus plus" verfolgt die Stadt Wien das Konzept weiter
und errichtet in der Seestadt Aspern und in Kagran weitere Projekte, die
hoffentlich Schule machen werden. Auch ohne Normschüler und ohne Normkatalog.
"Die nächsten Pilotprojekte werden für die Zukunft des Wiener Schulbaus ausschlaggebend
sein", so Schwarz-Viechtbauer. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Album,
23.8.2014)
Sonnwendviertel:
Eine Schule, die zum Ausprobieren zwingt
(Die Presse)
Es riecht weder nach Linoleum
noch nach Kreide und außergewöhnlich ruhig ist es auch: Der neue Bildungscampus
im Sonnwendviertel unweit des Wiener Hauptbahnhofs ist seit dreieinhalb Wochen
in Betrieb – und gerade dabei, sich zu füllen. Knapp 500 Kinder zwischen null
und 14 Jahren besuchen derzeit Kindergarten, Volksschule oder Neue
Mittelschule. Voll besetzt sollen es in drei Jahren rund 1100 Kinder sein.
Ungewöhnlicher als die Tatsache, dass die Schule sozusagen erst wachsen muss,
sind aber die Räumlichkeiten selbst. Denn architektonisch hat der Campus wenig
mit einer herkömmlichen Schule gemein.
Neun Mal sieben Meter große
Klassenzimmer, nackte Gänge, hie und da unterbrochen von Pausenräumen, sucht
man hier vergeblich. Ganz genauso wie das klassische Konferenzzimmer und die
genormten Schulbänke. Stattdessen gibt es Marktplätze und Cluster, Teamräume
und Nester. Dazwischen: durchgängige Glaswände. In den Klassen: eigens designte
Schultische in Form unregelmäßiger Sechsecke – für drei statt für zwei Schüler
gedacht.
Der dritte Pädagoge
Dabei
sieht das neue Schulgebäude von außen recht unspektakulär aus: schlammfarbene
Fronten, schachtelartige Gebäudeteile, metallene Stiegen. Nicht gerade so, als
würde sich hier die architektonische Revolution abspielen. Dabei hat wirklich
eine gewisse Revolution stattgefunden. Gewünscht war von der Stadt Wien nicht
eine Schule nach Norm, sondern eine, in der es beispielsweise möglich sein
sollte, einen größeren Anteil des Unterrichts in Freiarbeit zu bestreiten. Also
pädagogische Konzepte in Architektur gegossen. Der Raum als dritter Pädagoge –
neben dem Lehrer und den Mitschülern. Das Wiener Architekturbüro PPAG hat das
in einer Art Dorfstruktur umgesetzt.
So
tummeln sich gerade die Volksschüler – statt in der Klasse zu sitzen – mit
ihren Arbeitsblättern auf einem sogenannten Marktplatz. Die Marktplätze sind
das Herzstück des Konzepts: Um diese Freiflächen, die für das Arbeiten genauso
genutzt werden können wie für die Pause und in denen in der Volksschule sogar
zu Mittag gegessen wird, sind je vier Klassenräume angeordnet. Jeder davon hat
wiederum ein sogenanntes Nest: eine Art erhöhte Nische mit Pölstern und
Sitzsäcken, die die Schüler zum Lesen, Lernen, Ausruhen verwenden können. Und auch
ein Stück Garten oder Terrasse, das direkt zugänglich ist. Demnächst sollen
dort Lauben aufgestellt werden und farbige Sitzmöbel aus Kunststoff, ähnlich
den sogenannten Enzis, mit denen das Büro PPAG schon das Wiener Museumsquartier
prägte. Wozu auch immer diese dann genutzt werden.
Das ist
ein Anspruch, dem die Lehrerinnen und Lehrer erst einmal gerecht werden müssen.
„Es ist ein Ausprobieren“, sagt NMS-Lehrerin Melitta Miletich im sogenannten
Teamraum – einer Art Mini-Lehrerzimmer, wie es an jedem Marktplatz ebenfalls zu
finden ist. „Anfangs war ich ehrlich gesagt ein bisschen überfordert. Was tun
wir mit dem Marktplatz? Wofür nutzen wir das Nest? Und das geht noch weiter:
Ich bin neugierig, wie es laufen wird, wenn demnächst auch die Freiflächen zugänglich
sind.“ Man müsse sich den Raum langsam erarbeiten. Das gelte für Lehrer wie
Schüler.
Zu
wievielt sitzt man bequem an den eigentlich für drei ausgerichteten Tischen?
Was passiert im Nest? Wohin mit den Schultaschen? Mit den Materialien? Wo
steht, wo sitzt die Lehrerin, wenn es keinen großen Lehrertisch mehr gibt? Wie
sind Elemente von Frontalunterricht möglich – wenn die Tische so gestaltet
sind, dass irgendwer immer den Kopf verdrehen muss, wenn auf dem digitalen
Whiteboard etwas erklärt wird? „Wir Lehrer haben immer danach gerufen, dass
Schulen heute anders aussehen müssen“, sagt Miletich. „Und jetzt stellt sich
die Frage: Was kann man daraus machen? Macht das etwas mit mir? Mit den
Schülern? Man spürt einiges – aber es ist noch zu früh, um zu sagen, was
genau.“
Die Farbe kommt noch
Überhaupt
gibt es noch so einiges, was passieren wird. Auch farblich soll sich noch etwas
tun. Und das Konzept, das innen ähnlich zurückhaltend ist wie außen –
schlammfarben, sandfarben, grau – ein bisschen aufgebrochen werden.
„Willkommen“, steht schon in bunter Kreide auf einer mit Tafellack überzogenen
Wand – einer jener Flächen, auf der sich die Schüler kreativ austoben können.
Ob sie
auch die farbigen Ornamente ergänzen dürfen, die auf den Wänden aus Sichtbeton
anzeigen, in welchem Bauteil man sich befindet, muss dagegen erst geklärt
werden. NMS-Schulleiter Andreas Gruber würde es jedenfalls gefallen. Denn immerhin
wäre das auch eine Form, sich den Raum anzueignen.
AUF EINEN BLICK
Sonnwendviertel. Der 20.000 Quadratmeter große Campus in
Wien Favoriten ist der erste für Null- bis 14-Jährige. In drei Jahren soll er
elf Kindergartengruppen, 17 Klassen der Ganztagsvolksschule und 16 Klassen der
ganztägigen NMS umfassen. Dafür veranschlagte Errichtungskosten: 79 Millionen
Euro.
("Die
Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen